D-44269 Dortmund - Schüren

Gevelsbergstraße 13

www.Haymann.com

Telefon: +49 (0)231-443105

Telefax: +49 (0)231-458575

info@Haymann.com

Rechtsanwalt

H  a  y  m  a  n  n

Willkommen Über uns Service Gütestelle Informationen Formulare Kosten Kontakt Impressum

Mietrecht


Fristlose Kündigung bei Zerrüttung des Mietverhältnisses


Im Wohnraummietrecht reicht eine Zerrüttung des Mietverhältnisses im Sinne einer Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage allein, ohne dass festgestellt werden kann, dass diese zumindest auch durch ein pflichtwidriges Verhalten des anderen Vertragsteils verursacht worden ist, grundsätzlich nicht aus, um einer Mietvertragspartei ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses gemäß § 543 Abs. 1 BGB zuzubilligen.

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dazu wie folgt entschieden:

Die Beklagten sind seit 2011 Mieter einer im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses gelegenen Vierzimmerwohnung der Kläger in H. . Die Kläger bewohnen eine Wohnung im Erdgeschoss des Hauses. Seit dem Jahr 2014 kam es zwischen den Parteien zu regelmäßigen Auseinandersetzungen wegen angeblicher beidseitiger Vertragsverletzungen, wie etwa Verstößen gegen die Haus- und Reinigungsordnung, Lärmbelästigungen, fehlerhaftem Befüllen und Abstellen von Mülltonnen sowie Zuparken von Einfahrten.

In einem auch an eine im Haus lebende Familie türkischer Abstammung gerichteten Schreiben erklärten die Kläger, die Beklagten hätten sich rassistisch über Ausländer geäußert.

Im Mai 2020 erstatteten die Beklagten eine Strafanzeige gegen die Kläger wegen Verleumdung, in der sie unter anderem angaben, die Kläger hätten behauptet, die Beklagten hätten sich rassistisch über türkischstämmige Mitbürger geäußert. Ferner hätten die Kläger die Mutter des Beklagten zu 2 aufgrund der Anzahl ihrer Kinder als "asozial" bezeichnet. Die Klägerin habe den Beklagten zu 2 zudem mit den Worten "Du Penner" beleidigt und sich im Treppenhaus schreiend über das mangelnde Putzverhalten der Beklagten diesen gegenüber geäußert. Darüber hinaus parke die Klägerin die von den Beklagten angemietete Garage regelmäßig absichtlich zu.

Wegen dieser Strafanzeige und des "zerrütteten" Mietverhältnisses erklärten die Kläger mit Schreiben vom 23. November 2020 die außerordentliche fristlose, hilfsweise die fristgemäße Kündigung des Mietverhältnisses.

Die auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichtete Klage hat das Amtsgericht abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.

Der VIII. Senat des Bundesgerichtshofs hat dazu entschieden:

a) Nach der Generalklausel des § 543 Abs. 1 BGB kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos gekündigt werden. Ein solcher Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. § 569 Abs. 2 BGB ergänzt dies dahin, dass auch die nachhaltige Störung des Hausfriedens einen solchen wichtigen Grund darstellen kann. Eine nachhaltige Störung des Hausfriedens setzt voraus, dass eine Mietpartei die gemäß § 241 Abs. 2 BGB aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme folgende Pflicht, sich bei der Nutzung der Mietsache so zu verhalten, dass die anderen Mieter - und der wie hier im Haus lebende Vermieter nicht mehr als unvermeidlich gestört werden, in schwerwiegender Weise verletzt (vgl. Senatsurteil vom 18. Februar 2015 - VIII ZR 186/14, NJW 2015, 1239 Rn. 12 f.; Senatsbeschlüsse vom 25. August 2020 - VIII ZR 59/20, NJW-RR 2020, 1275 Rn. 19; vom 22. Juni 2021 - VIII ZR 134/20, NJW-RR 2021, 1093 Rn. 19).

Es obliegt in erster Linie dem Tatrichter, unter Bewertung und Gewichtung aller für die jeweilige Beurteilung maßgeblichen Gesichtspunkte darüber zu befinden, ob eine Unzumutbarkeit im Sinne von § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB gegeben ist. Dessen Ergebnis kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob es auf einer rechtsfehlerfrei gewonnenen Tatsachengrundlage beruht, alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind und der Tatrichter den zutreffenden rechtlichen Maßstab angewandt hat (vgl. Senatsurteil vom 9. November 2016 - VIII ZR 73/16, NZM 2017, 26 Rn. 16; Senatsbeschluss vom 8. August 2023 - VIII ZR 234/22, juris Rn. 21; jeweils mwN).

Im Wohnraummietrecht reicht eine Zerrüttung des Mietverhältnisses im Sinne einer Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage allein, ohne dass festgestellt werden kann, dass diese zumindest auch durch ein pflichtwidriges Verhalten des anderen Vertragsteils verursacht worden ist, grundsätzlich nicht aus, um einer Mietvertragspartei ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses gemäß § 543 Abs. 1 BGB zuzubilligen. Von diesen Grundsätzen ist auch das Berufungsgericht ausgegangen und hat dementsprechend ohne Rechtsfehler angenommen, dass vorliegend mangels Feststellbarkeit einer konkreten, für die Zerrüttung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses ursächlich gewordenen Pflichtverletzung der Beklagten weder eine außerordentliche fristlose Kündigung dieses Mietverhältnisses wegen der Störung des Hausfriedens gemäß § 543 Abs. 1, § 569 Abs. 2 BGB noch wegen des Vorliegens eines sonstigen wichtigen Grunds im Sinne von § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB gerechtfertigt war.

Entgegen einer in der Literatur und der Instanzrechtsprechung teilweise vertretenen Ansicht reicht eine solche Zerrüttung allein regelmäßig nicht aus, um den Mietvertragsparteien - und damit im vorliegenden Fall auch den Klägern - ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Wohnraummietverhältnisses gemäß § 543 Abs. 1 BGB zuzubilligen (so aber OLG Dresden, Urteil vom 23. Juni 2021 - 5 U 2366/20, juris Rn. 42; AG Dortmund, Urteil vom 30. Oktober 2018 - 425 C 4296/17, juris Rn. 51; LG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Januar 2016 - 23 S 225/14, BeckRS 2016, 125333 Rn. 5; Lützenkirchen/ Lützenkirchen, Mietrecht, 3. Aufl., § 543 BGB Rn. 123; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 14. Aufl., § 543 BGB Rn. 168; siehe auch BeckOGK-BGB/Mehle, Stand: 1. Juli 2023, § 543 Rn. 33 [die allerdings das allgemeine Zerrüttungsprinzip grundsätzlich nicht als Kündigungsgrund ansieht, sondern von Einzelfällen spricht]).

Denn diese Ansicht steht bereits in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach ein wichtiger Grund zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen nach den Vorschriften der § 626 Abs. 1, § 543 Abs. 1, § 314 Abs. 1 BGB im Allgemeinen nur dann gegeben ist, wenn der Grund, auf den die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des anderen Vertragsteils liegt (vgl. BGH, Urteile vom 19. April 2023 - XII ZR 24/22, NJW-RR 2023, 965 Rn. 11 [zur Kündigung eines Fitnessstudiovertrags]; vom 7. März 2013 - III ZR 231/12, BGHZ 196, 285 Rn. 17 [zur Kündigung eines DSL-Vertrags]; vom 10. Dezember 1980 - VIII ZR 186/79, WM 1981, 66 unter II 4 b [zur Kündigung eines Gewerberaummietvertrags], siehe auch Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 15. Aufl., § 543 BGB Rn. 13 f.; Spielbauer/Schneider/Ettl, Mietrecht, 2. Aufl., § 543 BGB Rn. 5; Kraemer, WuM 2001, 163, 168).

(3) Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof für den Bereich des Gewerberaummietrechts bereits entschieden, dass für eine Mietvertragspartei ein Recht zur fristlosen Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB in der hier gegebenen Fallgruppe der Zerrüttung nur bestehen kann, wenn infolge des (pflichtwidrigen) Verhaltens des anderen Vertragsteils die Durchführung des Vertrags wegen der Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage derart gefährdet ist, dass dem Kündigenden unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 15. September 2010 - XII ZR 188/08, NJW-RR 2011, 89 Rn. 11 mwN; vom 23. Januar 2002 - XII ZR 5/00, NJW-RR 2002, 946 unter 2 b; vom 21. Dezember 1977 - VIII ZR 119/76, WM 1978, 271 unter I 2 c aa; vom 10. Juli 1968 - VIII ZR 120/66, BGHZ 50, 312, 315; siehe auch Siegmund in Blank/Börstinghaus/ Siegmund, Miete, 7. Aufl., § 543 BGB Rn. 9; Staudinger/V. Emmerich, BGB, Neubearb. 2021, § 543 Rn. 5 f.). Es darf demnach grundsätzlich nicht allein darauf abgestellt werden, ob das Vertrauensverhältnis zwischen den Mietvertragsparteien zerstört worden ist (vgl. Senatsurteil vom 10. Juli 1968 - VIII ZR 120/66, aaO; siehe auch OLG Brandenburg, Urteil vom 22. August 2012 - 3 U 67/11, juris Rn. 52 [zur Kündigung eines Pachtvertrags]; Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 82. Aufl., § 543 Rn. 35; Meyer-Abich, NZM 2017, 97, 102; Kraemer, WuM 2001, 163, 168 [keine Einführung eines Zerrüttungsprinzips durch die Regelung des § 543 Abs. 1 BGB]).

Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für den Bereich des Wohnraummietrechts.

Gemessen an diesen Maßstäben ist die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, dass allein in der hier unstreitig gegebenen Zerrüttung ein wichtiger Grund im Sinne von § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gesehen werden kann. Ein hierauf bezogenes pflichtwidriges Verhalten der Beklagten, das zu dieser Zerrüttung zumindest beigetragen hat, lag nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor.

Eine Verletzung mietvertraglicher Pflichten, welche die außerordentliche fristlose Kündigung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses rechtfertigen könnte, ist hier auch nicht in der Erstattung der gegen die Kläger gerichteten Strafanzeige durch die Beklagten zu sehen. Das Berufungsgericht ist frei von Rechtsfehlern davon ausgegangen, dass der von den Beklagten in dieser Strafanzeige gegen die Kläger erhobene zentrale Vorwurf, diese hätten den Beklagten fälschlicherweise rassistische Äußerungen über Ausländer unterstellt, der Wahrheit entsprochen hat, und deshalb eine Verletzung mietvertraglicher Pflichten insofern nicht vorliegt. Allein die weiteren von den Beklagten in der Strafanzeige erhobenen Vorwürfe rechtfertigen - wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat - unter den hier gegebenen Umständen eine außerordentliche fristlose Kündigung nicht.

Ob die Erstattung einer Strafanzeige einen schwerwiegenden Verstoß gegen die mietvertraglichen Pflichten darstellt, der eine fristlose (oder hilfsweise eine ordentliche) Kündigung rechtfertigt, ist unter Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Eine grundlos falsche Strafanzeige gegen den Vertragspartner kann hierbei einen zur Kündigung berechtigenden Umstand darstellen, ebenso wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben im Rahmen einer Strafanzeige. Bei der einzelfallbezogenen Gesamtabwägung ist auch zu berücksichtigen, ob der Anzeigeerstatter zur Wahrnehmung berechtigter eigener Interessen oder staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten gehandelt hat (vgl. zum Beurteilungsmaßstab sowie zur einzelfallbezogenen Würdigung: Senatsurteil vom 21. Dezember 1960 - VIII ZR 50/60, BeckRS 1960, 31188878 unter Il 3 d; Senatsbeschluss vom 8. August 2023 - VIII ZR 234/22, juris Rn. 25 mwN; BVerfG, NZM 2002, 61; BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2008 - 1 BvR 1404/04, juris Rn. 17 f.).


Vorinstanzen: AG Brühl, Entscheidung vom 26.10.2021 -24 C 46/21 –

LG Köln, Entscheidung vom 08.09.2022 - 1S22/22 –


BGH, Urteil vom 29.11.2023 – VIII ZR 211/22


Quelle: Urteilsmitteilung des Bundesgerichtshofs in Auszügen






Mietrecht